© Hermann Nitsch_Museum Jorn

Kurator Florian Steininger

Jorn  Nitsch ist die erste Ausstellung im nitsch museum Mistelbach, bei der Hermann Nitschs künstlerisches Werk einer zweiten Position gegenübergestellt wird. 
Asger Jorn (1914, Vejrum – 1973, Aarhus / Dänemark) zählt neben Karel Appel und Pierre Alechinsky zu den bekanntesten Protagonisten der CoBrA-Gruppe, eine der führenden Avantgardebewegungen der Nachkriegszeit in Europa, die sich für Ursprünglichkeit und Freiheit der Kunst ausgesprochen haben. Florian Steininger, der künstlerische Direktor der Kunsthalle Krems, hat diese Ausstellung kuratiert.  

„Die Möglichkeit andere nationale und internationale Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Aktionskunst, Malerei, Musik, Theater, Grafik und Philosophie mit dem Schaffen von Hermann Nitsch in Kontext zu setzen, dabei Einflüsse, Parallelen und signifikante Unterschiede zu erarbeiten, wird neue Perspektiven auf das Werk des Künstlers ermöglichen. Das nitsch museum wird sich in Zukunft diesen Ausstellungsmöglichkeiten widmen, zugleich aber werden Einzelausstellungen von Hermann Nitsch weiterhin eine zentrale Aufgabe des Museums darstellen.“ so Michael Karrer, künstlerischer Direktor des nitsch museums, zum neuen Ausstellungsprogramm.

Protestantischer Norden trifft auf katholisch-barockes Weinviertel

Die größten Gemeinsamkeiten der beiden Künstler finden sich im Mythisch-Kultischen sowie im Gestisch-Materiellen der Malerei. Asger Jorn thematisiert die nordische Kultur, das „Vandalische“ in Form von archaischen Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen. Jorns künstlerische Auseinandersetzung mit dem Keltischen im nordeuropäischen Kulturkreis der Urgeschichte bildet einen Brückenschlag zum benachbarten MAMUZ Museum in Mistelbach. Nitsch taucht in die spirituell-dionysische Welt des Rausches, der Ekstase, der Erotik, des Schmerzes, der Vernichtung und schlussendlich der Auferstehung ein. 

Jorns sowie Nitschs Malerei sind von sinnlicher Kraft, körperlichem Einsatz und Materialität geprägt. Mit seinen Aktionsmalereien und Schüttbildern ab den frühen 1960er-Jahren hatte der Wiener Aktionist das Tafelbild entschieden erweitert und als Vorstufe zu seinem Orgien Mysterien Theater definiert. Vor allem ist sein malerisches Spätwerk von gestischen Entladungen in pastoser Materialität und kräftigem Kolorit erfüllt. Jorn schöpft aus dem Unbewussten jenseits der rationalen Welt und schafft hybrid-organische Formverwilderungen, die sich in eine abstrakte Malereisubstanz auflösen. 

Eine weitere Parallele findet sich im Einsatz der Zeichnung und dem Primat der Linie, ob Jorns archaisch-kindliche Kopffüßler und Mensch-Tier-Kreationen oder Nitschs anatomisch sowie organisch geprägte Architektur-Notationen seines grafischen Werks.

Jorn

Florian Steininger

Asger Jorns künstlerisches Werk setzt in den frühen 1930er-Jahren ein und reicht in die frühen 1970er-Jahre. Malerei und Zeichnung sind die medienbestimmenden Gattungen, erweitert durch skulpturale Praxis, Druckgrafik, Plakatkunst und literarische Werke. Nach einer ersten Ausstellungsbeteiligung in seinem dänischen Heimatort Silkeborg verlässt der Künstler das provinziell konservative Umfeld und bricht auf in die damalige Kunstmetropole Paris. Dort arbeitet er in Fernand Légers Atelier und assistiert Le Corbusier für die Weltausstellung im Jahr 1937. Die frühen Blätter der Ausstellung verdeutlichen die Experimentierfreude des Künstlers, wie etwa die „Flottagen“ von 1939, Monotypien auf flüssigem Grund, die verschwommene pflanzlich-figurative Abdrücke zur Schau stellen. Demgegenüber wirken die Aktzeichnungen und die Totenkopfstudie noch einer klassisch naturalistischen abbildenden Kunstauffassung verpflichtet. Die körperliche Präsenz im Bild als physischer Abdruck zeichnet sich im Fußsohlenbild von 1940 aus. Hierbei sei auf Hermann Nitschs Integration seines Körpers in seinen Schüttbildern in Form von Hand- und Fußabdrücken verwiesen, als direkte aktionistische Spur auf der Leinwand. Körper und Gemälde vereinigen sich.  

Aus dem Unbewussten schöpfend zeichnet und malt der dänische Künstler. Archaisch-mythische Quellen strömen in die intuitive künstlerische Praxis. Hybride Mensch-Tier-Metamorphosen, kafkaeske Käfer und zähnefletschende Kobolde der dunklen Seite der Welt fließen aus der Tuschefeder aufs Blatt Papier. Die von Jorn mitbegründete CoBrA-Gruppe (1948–1951) fußt auf dem Primat der archaisch-vorkulturellen Kunst, der Art brut und der Kinderzeichnung und positioniert sich gegen jeglichen Rationalismus und Akademismus in der Kunst.

Jorn ist der Künstler des Nordens, der vorkulturellen Wildheit. Die „barbarische“ Kultur Nordeuropas ab der Bronzezeit, insbesondere der skandinavischen Länder, steht der abendländischen Kultur der klassischen Antike des Mittelmeerraums entgegen. Jorns Figurationen sind wild, archaisch: metamorphe Kopffüßer mit knurrenden Mäulern. Es sind wirkmächtige Bilder des Nordens. 

In der Malerei ab den 1950er-Jahren bis zu seinem Spätwerk ist Jorn der große Formenverwilderer, die Bildoberfläche wird zur expressiven informellen Urmaterie, aus der surreal-groteske Kreaturen herauswachsen und in ihr zugleich wieder vergehen. Impulsivität, das Strömen und Wogen der Farbmassen, bestimmt das Bildgeschehen. Ein bewusster Abbau der Malkultur tritt in Kraft, das Unbewusste gezielt eingesetzt, mit dem ursprünglich Rohen kokettierend. Hermann Nitschs späte Gemälde zeugen von einer ähnlichen pastos-sinnlichen Struktur mit buntfarbiger Kraft, allerdings rein im malerisch Ungegenständlichen bestimmt. Ein körperliches Wühlen im breiigen Gedärm der Malerei. Insbesondere Jorns Spätwerk ist vom aufhellenden Kolorismus geprägt, das Dunkle der Nacht weicht dem Hellen. Seine Keramiken, Teller, Figurinen oder abstrakte Formen korrespondieren in ihrer prozesshaft-informellen Gestalt mit den Tafelbildern dieser Phase.

Druckgrafische Blätter mit gestisch-expressiven Spuren in rot-feuriger sowie blau-wässriger Atmosphäre ergänzen Jorns malerisch-informelles Werk in der Ausstellung. 

Anfang der 1960er-Jahre entstanden experimentelle abstrakte Schüttungen mit Lackfarbe, die sogenannten „Luxusbilder“. Getropfte Liniensysteme vernetzen sich auf der Bildfläche zu kosmischen Arealen. In Anlehnung an Jackson Pollocks Drip Paintings sind Jorns Drippings ironisch gebrochen, mit dadaistischer Note, abstrakte Bad Paintings ohne Anspruch auf Erhabenheit. Nitschs erste mit körperlichem Impetus aufgeladene Schüttbilder entstehen etwa zeitgleich zu Jorns getropften Gemälden. In den Modifikationen um 1960 eignet sich der dänische Künstler bestehende Kitschbilder an, die er übermalt, als destruktiver Akt gegen die konventionelle realistische Malerei. Jorns Decollagen aus Plakatfetzen formen sich zu abstrakt-farblichen Kompositionen. Hierbei verwendet er Reklameplakate, deren kapitalistische Inhalte der linksrevolutionäre Künstler destruiert. 1968 schließt sich Jorn den Studentenrevolutionen in Paris an und kreiert agitatorische Kunstplakate. Im selben Jahr findet auf der Universität Wien die „Uni-Ferkelei“-Performance Kunst und Revolution der Wiener Aktionisten statt, dessen Gruppierung Hermann Nitsch angehört. 

Stets ging es dem dänischen Künstler um eine innovative, offene künstlerische Praxis mit einem breiten Spektrum für Fantasie und Freiheit.  

Nitsch

Florian Steininger

Hermann Nitschs früheste grafische Beispiele sind dem menschlichen Körper verpflichtet. Von Rembrandts Hundertguldenblatt inspiriert, schafft Nitsch 1956 eine Ätzradierung, die 1987 in die Serie der Architektur des Orgien Mysterien Theaters aufgenommen wird, das Bild wird nachträglich mit Farbe überarbeitet. Präzise, altmeisterliche Anatomien von Kopf und Körper ergänzen die druckgrafische Auswahl mit mehrfachen Überdrucken, geschüttet und übermalt. Das druckgrafische Werk gipfelt im Letzten Abendmahl auf Stoff mit aktionistischer Überschüttung des menschlichen Figurenfrieses. 1959–61 entstehen konzentrierte informelle Notationen von Kringeln, Spiralen und Girlanden als reine abstrakte grafische Expression. Die informelle Spur findet im Spätwerk als koloristische Gestrüppe auf dem Blatt ihren Widerhall.

Auf der gegenüberliegenden Wand des Korridors korrespondieren Nitschs Gemälde mit den Arbeiten auf Papier, von den frühen Schüttbildern aus den 1960er-Jahren bis zum farbig expressiven Spätwerk. Dünnflüssige Farbe aus Dispersion oder Acryl mit Blut getränkt, sowie pastos materielle Öl- bzw. Acrylfarbe benetzen und bedecken die Jute des Bildträgers: monochrome Gemälde in blutigem Rot, fastentuchfarbigem Violett, existenziellem Schwarz sowie in buntfarbiger Blüte.

Im Sommer 1959 besucht Nitsch im Künstlerhaus die Ausstellung Junge Maler der Gegenwart, unter anderen mit Werken von Yves Klein, Pierre Soulages und Georges Mathieu. Mathieu performt im Theater am Fleischmarkt im April 1959 und erschafft eine monumental-theatralische Aktionsmalerei. Am selben Abend demonstriert Markus Prachensky seine Peinture Liquide, indem er rote Farbe von der Oberkante einer aufgestellten Leinwand herunterrinnen lässt. 1960, wenn auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit, malt Prachensky im ersten Raum der Galerie St. Stephan ein zehn Meter breites rot-weißes Action-Painting mit heftigen Pinselhieben und Schüttungen. Zudem sei an Arnulf Rainers Zentral- und Vertikalgestaltungen der frühen 1950er-Jahre gedacht, als Expression pure, als Nukleus der künstlerischen Geste. 1960 entstehen Hermann Nitschs erste Schüttbilder, wie etwa Opus 18, eine ikonenhafte dunkle Tafel mit feinen roten Rinnsalen. Das Tafelbild wird zum sakral blutig geschundenen Körper. Ähnliche Maltafeln wurden zu einem „kleinen Existenzaltar“ in Kreuzform arrangiert. Nitsch intensiviert daraufhin den expressionistisch körperlichen Gestus und schleudert rote Dispersionsfarbe auf die grobe Jutefläche des Bildes, attackiert es mit Hand und Fuß und markiert somit physisch das Gemälde. Aktion und Malerei vereinigen sich auf der Leinwand. Das Herabrinnen im vertikalen und das Schütten im horizontalen Zustand der Leinwand prägen von diesem Zeitpunkt an Nitschs Schüttbilder mit dünnflüssiger Farbsubstanz aus Dispersion oder später Acryl, der in der Folge auch Blut beigemengt wird. Ab den frühen 1990er-Jahren setzt der Künstler pastose Öl- und im Spätwerk Acrylfarbe ein, als materielle Paste und dicken Brei, in dem er wühlt und schmiert und seine körperlichen Spuren auf der Bildfläche hinterlässt. Nicht die Form, der Gegenstand, das Abbilden stehen im Zentrum, sondern der Prozess mittels Körper und die Materialität und ihre Umsetzung. Hierbei befindet sich Nitschs informelle aktionistische Malerei in der Tradition von Tachismus und Action-Painting der Nachkriegskunst. „nach dem 2 . weltkrieg entstand eine malerei, welche nichts darstellen wollte, die nichts in der natur bereits vorhandenes reproduzieren wollte, sondern innerhalb des bildgefüges auf der leinwand selbst spielten sich konkrete vorgänge ab, welche selbst, oder deren auswirkungen, zur schau gestellt wurden. Die farbe wurde nicht als farbklang sondern als substanz begriffen, als paste oder flüssigkeit, die verschmiert oder verschüttet wurde. Es entstanden resultate, bedingt durch die geste und motorik von arm- und handbewegungen, es wurde gekritzelt, geschmiert, substanzen, flüssigkeiten, farben wurden auf die leinwand gespritzt, geschleudert, geschüttet usw. die anschaubarkeit der aktion war ein nicht unwesentlicher punkt dieser kunst.“ so Nitsch. Nitschs Bilder sind einmalige unmittelbare Würfe. Nitschs Malerei ist stets an die universelle Dimension seines Orgien Mysterien Theaters gebunden. Malaktion und das Theatralische brauchen sich gegenseitig. Trotz des Anspruchs auf ein Gesamtkunstwerk wird in dieser Ausstellung der Blick auf den Maler Nitsch und seine bildhafte Kraft der einzelnen Werke gelegt, von den frühen Schüttbildern bis zu den mehr malerisch-materiellen Gemälden im multikoloristischen Spektrum. Ein Bildensemble mit integrierten Malhemden leitet die Schau im nitsch museum ein.

In Zusammenarbeit mit

Florian Steininger ist Direktor der Kunsthalle Krems. Er studierte Kunstgeschichte an der Universität Wien. Von 2001 bis 2016 war er Kurator im Bank Austria Kunstforum Wien. Er kuratierte zahlreiche Projekte zur modernen und zeitgenössischen Kunst, wie etwa Roy Lichtenstein, Willem de Kooning, Frida Kahlo, Warhol & Basquiat, Axel Hütte, Sammlung Hubert Looser, Per Kirkeby, Hans Op de Beeck, Teresa Margolles, Helen Frankenthaler, Eduardo Chillida und Thomas J Price.

    TIPP: HERMANN NITSCH - Der Triumph des Exzesses

    14.6.-22.9.2024, Museum Jorn, Silkeborg

    Im Sommer 2024 zeigt das Museum Jorn die erste umfassende Einzelausstellung in Dänemark mit dem international bekannten österreichischen Maler und Aktionskünstler Hermann Nitsch (1938-2022).

    Nitsch zählt zu den provokativsten bildenden Künstlern der europäischen Nachkriegsavantgarde. Als Mitbegründer der radikalen ästhetischen Bewegung Wiener Aktionismus, die durch performative künstlerische Tabubrüche die Normvorstellungen der modernen Gesellschaft in Frage stellte, suchte er in den 1960er Jahren bewusst die Auseinandersetzung mit dem staatlichen System und dem darin verankerten christlich geprägten Wertekanon.

    Nitschs Leben und Kunst können als ein grosses Passionsspiel bzw. als aktiver Prozess übermäßigen Leidens charakterisiert werden. Seine zahlreichen Auftritte im öffentlichen Raum und seine ausdrucksstarken Gemälde zeichnen sich durch eine intensive Aneignung religiöser Rituale und Symbole aus. 

    In Nitschs ästhetischer Produktion, die im sogenannten Orgien Mysterien Theater gipfelt, wo Performance, bildende Kunst, Musik, Wissenschaft und Leben zu einem opulenten und rituell gesteigerten Gesamtkunstwerk verschmelzen, wird geschlachtet, gekreuzigt und beschworen!

    Die Ausstellung im Museum Jorn ist retrospektiv angelegt und umfasst mehr als 150 bedeutende Gemälde, raumgreifende Installationen, Videos, Fotografien, musikalische und grafische Werke aus den 1960er Jahren bis 2022. Die Arbeiten befassen sich mit einer Vielzahl Themen und Genres, mit denen Nitschs anspruchsvolle und ausdrucksstarke Kunst operiert.

    Das Projekt wird unter der Schirmherrschaft der Österreichischen Botschafterin in Dänemark und in enger Zusammenarbeit mit dem nitsch museum in Mistelbach, der Nitsch Foundation in Wien und dem Privatnachlass des Künstlers in Prinzendorf realisiert.

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